Dr. phil. Axel Schöne
Aufhebung des Idylls – Landschaftsbilder von Jochen Fiedler
Jochen Fiedler, Jahrgang 1962, lebt und abeitet in Cunnersdorf, einem Dorf am Rande der Sächsischen Schweiz. Hier im Einklang mit seiner Familie, in einer übersichtlich gegliederten Kulturlandschaft, fühlt er sich aufgehoben und wohl. Von hier schwärmt er aus, in die ihm nahe liegende Umgebung. Auch sein Stadtatelier in Dresden ist nicht fern. Bei Bedarf kann er also rasch in den aufgeregten Kunstbetrieb der Landeshauptstadt eintauchen, sich Reibungen aussetzen, andersartige Reize aufnehmen. Es gibt zahlreiche Verbindungen. In Dresden wuchs Fiedler auf, hier erhielt er seine Ausbildung. Über Zeichenzirkel und Abendstudium kam er 1983 gut vorbereitet zum Studium an die Hochschule für Bildende Künste, das er 1989 mit einem Meisterschülerjahr bei Gerhard Kettner beendete.
Schon bald war sich Fiedler sicher, dass seinem künstlerischen Naturell die Beschäftigung mit Landschaft und Stillleben, Bildnis und Akt entspricht. Hierin kann sich die Glut bildschaffender Produktivität nicht lediglich entzünden, sondern ausleben. Diese Genres sind klassisch und zeitlos, sie enthalten auch die Möglichkeit grenzenloser Vertiefung.
Aus der deutlichen Hinwendung zu Figur und Gegenständlichkeit als grundsätzlichem Gestaltungsthema entwickelte Fiedler eine ganz bestimmte Haltung zur Landschaft. Er bevorzugt bald einen gewissen Landschaftstyp: das fast zur Lieblichkeit neigende Mittelgebirgsvorland zu Erzgebirge und Lausitzer Bergland, das Elbtal und seine Hochflächen zwischen Bad Schandau und Meißen. Und auch die sanften Ausläufer der Sächsischen Schweiz (wo er selbst seit 1998 wohnt) sowie die Überbleibsel ehemaliger Dorfkerne am heutigen Großstadtrand.
Seit 1992 erweitern jährliche Malreisen, die ihn bezeichnenderweise in die Provence, nach Umbrien sowie in die Pfalz führen, das Blickfeld, ergänzen seinen Motivfundus. Die ausgewählten Ziele bekräftigen seine Neigungen. Und die Bilder zeigen es: Der Maler Fiedler begibt sich gern in Gegenden, die nicht in erster Linie durch schroffe Kontraste charakterisiert sind. Für manche Künstler bilden erst hundertmetertiefe Cañons oder steile Hochgebirgsgipfel, atemberaubende Meeresklippen oder endlose Steppen würdige Anlässe für bildhafte Gestaltungen. Auf Fiedler übt die ländliche Umgebung von Dresden große Anziehungskraft aus. Zu Recht. Hier hat alles ein menschliches Maß. Die Ortschaften sind umgeben von sanften Wiesen, Hügeln, Feldern, Wälder; es gibt noch glucksende Bäche, saftige Auen und weite Himmel über dem Horizont.
Jochen Fiedler ist ein klassischer Landschaftsmaler der alten Schule. Auch was die Gewohnheiten und Arbeitsumstände anbetrifft. Er ist einer der wenigen Besessenen, die noch mit Sack und Pack durch die Landschaft streifen, bei Wind und Wetter die Staffelei aufrichten, um vor dem Motiv – pleinair – in direkter Anschauung das Erlebte in ein Bild umzusetzen. Als Schar befreundeter Dresdner Malerkollegen mit ähnlicher Gesinnung bricht man zuweilen auch gemeinsam auf. Künstler, die so etwas tun, sind überzeugt davon, dass die im intensiven Naturstudium erreichbare Unmittelbarkeit des Seherlebnisses unverzichtbar ist, weil sie sich durch keine andere Form der Wirklichkeitsaneignung ersetzen lässt. Zeichnung, Aquarelle, Pastelle entstehen sofort, häufig auch Ölbilder, die mitunter später im Atelier vervollständigt werden.
Fiedlers Bilder vermitteln eine nahezu ungetrübte Daseinsfreude. Die Farben sind hell, oft leuchtend, schaffen mit dem flotten, impressiven Duktus eine lebhafte Rhythmisierung der Bildfläche. Die Himmel über den weiten Hügellandschaften und Dorfansichten sind locker bewölkt, Hausfassaden und Baumkronen sonnenüberstrahlt. Die Grundstimmung ist heiter. Auch die Bildausschnitte, die Komposition sowie die Proportionierung der einzelnen Bildbestandteile lassen kaum melancholische Momente aufkommen. Eine derartige Anschauung von seltsam unbefangener Einfachheit und Frische ist natürlich Ausdruck einer bestimmten Weltsicht. Diese, in den Bildern nahezu greifbare, vertrauensvolle Zuversicht mag erstaunen oder irritieren. Sie wird als Haltung jedoch glaubhaft durch die ästhetische Qualität der Bilder, ihre malerische Konsequenz.
Die Beharrlichkeit, mit der dieser Maler das einfache, unspektakuläre Schöne sucht, darstellt und bedeutsam steigert, ist in der Gegenwartskunst eher selten und eigentlich bewundernswert. Fiedler veranschaulicht in seinen Landschaften weitgehend intakte Körper-Raum-Verhältnisse, die gleichzeitig und unaufdringlich ihre Verletzlichkeit offenbaren. Dabei verzichtet er auf Symbole, seine Bilder sind insgesamt nicht zeichenhaft. Jedes Bild ist auf sich bezogen und soll in sich überzeugend sein. Er malt Landschaften im Winter oder mit Herbststimmung, es entstehen Ansichten mit frühlingshaftem Charakter oder in sommerlichen Farben. Keinerlei Figurenstaffage verklärt den Bildausdruck. Auch die Dimension des Zeitlichen kommt nur auf indirektem Wege zur Anschauung. Die Erfahrung der Vergänglichkeit, die zyklischen Abläufe in der Natur und im Leben schlechthin vermitteln Fiedlers Bildwelten erst in der Summe, im Neben- und Hintereinander. Die Abwesenheit von bemühter Gedankenschwere wirkt wie eine Antithese zum überwiegenden Erscheinungsbild zeitgenössischer Kunst.
Jochen Fiedler hält sich an das Erlebte, an das empfindsam Gesehene, das er neugierig und staunend, mit viel Gefühl ins Bild umsetzt. Ihn interessieren die substantiellen Aspekte des Darzustellenden: die Silhouette, das Licht, die Raumverhältnisse, die ganze Atmosphäre. Es ist nicht so sehr das formal Spekulative oder das in philosophischen Betrachtungen Ersonnene, was ihn zur Gestaltung treibt. Den Malprozess versteht Fiedler als bewussten Vorgang. Die Ausschöpfen der künstlerischen Mittel hat das Ziel, ein schlüssiges Bildganzes zu schaffen. Dabei erfolgt eine Transformation der Wirklichkeitseindrücke – mal behutsamer, mal rigoroser. Bei aller Unmittelbarkeit, mit der sich Fiedler dem Erfassen des jeweiligen Motivs aussetzt, halten sich formale Übersteigerungen, Reduktionen und Umformungen in Grenzen. Kein fundamentaler Zorn auf die Welt treibt ihn an, Formen zu zertrümmern oder sie in rätselhafte, düstere Kürzel zu überführen. Er kommt ohne Stilisierungen und ironische Brechungen aus. Jegliche kühle Distanziertheit ist seinem sanguinischen Temperament wohl fremd.
Ich glaube, in dieser dem Motivischen verbundenen Art bildnerischer Formungen, trifft Fiedler am tiefsten auf sich selber. Das zeigt das in fünfzehn Jahren hervorgebrachte Werk. Von einem hektischen, wie auch immer gearteten modischen Innovationszwang mit all seinen Bedrückungen hält sich Fiedler jedenfalls frei. Er tastet die Möglichkeiten einer auf sich selbst vertrauenden Erlebniskunst aus und verzichtet darauf, vordergründig und lärmend Aufmerksamkeit zu erheischen. Mit dieser Haltung steht er in der zeitgenössischen Kunst keineswegs allein da. Aber in der nun wirklich nicht kleinen und vielgestaltigen Dresdener Kunstszene hat er sich eine anerkannte Position als leidenschaftlicher Landschafter erarbeitet und gesichert. So gehört Fiedler zu denjenigen Künstlern der mittleren Generation, die eine besonders im Dresdener Raum fest verankerte, über Jahrzehnte gewachsene sensualistische Tradition von Mal- und Zeichenkultur pflegen und weiterführen.
Die im Laufe der Jahre über verschiedene Widerstände errungene Möglichkeit eines selbstverständlichen Tuns und Arbeitens als Maler, so wie andere Tischler oder Gärtner sind, empfindet Fiedler als Glück. Er findet Befriedigung im relativ beständigen, wiederholten Arbeiten vor bekannten Motiven, im fantasievollen Erkunden bildhafter Ausdrucksmöglichkeiten. Selbstverständlich ist dem Künstler zu unterstellen, dass er vom offenkundigen und latenten Chaos dieser Welt weiß. Wenn Fiedler jedoch eher an der Darstellung harmonischer Verhältnisse gelegen ist, hat das nichts mit wirklichkeitsfremder Idylle zu tun. Das Werk Jochen Fiedlers ist insgesamt voller Energie und herzhafter Ausdruck einer Feier des Daseins.
Auch das ist eine hervorhebenswerte Stärke seiner Kunst.