Katja Margarethe Mieth
Hausgesicht, Sebnitz
Haben Häuser Gesichter? Die von Jochen Fiedler portraetierten schon. Aber die Einheitsphysiognomien heutiger Musterhaussiedlungen interessieren ihn nicht. Vielmehr berühren den Maler die Falten und Runzeln, die Geschichte, Wind und Wetter der Fassade und Kontur eingeschrieben haben. Ein altes Haus entwickelt individuelle Züge, Verwachsungen und andere Auffälligkeiten, die mit dem Verlust seiner Zeitgenossen und der damit einhergehenden Isolation des Einzelobjekts immer stärker hervortreten. Jochen Fiedler gelingt es, in sensiblem Farbklang das Unverwechselbare und Charakteristische zu erfassen.
In den frühen 1990er Jahren hatte Jochen Fiedler eine ganze Serie von „Hausgesichtern“ geschaffen. Sein Interesse für urbane Architektur war bereits erwacht, als er noch als Meisterschüler von Gerhard Kettner an der Hochschule für Bildende Künste Dresden studierte. Aber nicht die großen Pracht- und Repräsentationsbauten zogen den Maler in ihren Bann, sondern vielmehr die weniger spektakulären Kleinode historischer Wohnbauten. Seine Streifzüge um das Hochschulareal brachten damals atmosphärische, monochrome Zeichnungen hervor. Danach schuf der Dresdener Künstler eine ganze Reihe von Porträts historischer Häuser am Elbhang, die beredtes Zeugnis von einstigen Bewohnern ablegen. Denn Jochen Fiedler erspürt den Charakter eines Hauses, einer Häuserzeile und übersetzt wesentliche Züge individueller Authentizität in seine stimmungsvollen Zeichnungen und Gemälde. Hier folgt er der guten Dresdener Tradition eines Albert Wigand, Theodor Rosenhauer oder Bernhard Kretzschmar.
Aber wie so viele Dresdener Maler nach 1990 kehrte auch Jochen Fiedler der Stadt den Rücken und zog aufs Land. Gemeinsam mit seiner Familie fand er in der Sächsischen Schweiz – in Cunnersdorf bei Hohnstein – ein neues Zuhause.
Die Hausgesichter verschwanden und die Landschaft als Fiedlers ureigenstes Metier steht seitdem im Vordergrund seines künstlerischen Schaffens. Dresden als künstlerische Heimat gab Jochen Fiedler dennoch nicht auf. Im Schau-Atelier auf dem Weißen Hirsch sind immer wieder neue, überraschende Zeugnisse von Fiedlers unermüdlichem Schaffensdrang zu sehen – in Kreide oder Öl, auf Papier oder Leinwand. Der Umzug aufs Land hat sichtbare Früchte getragen. Jochen Fiedler kann auf den weiten Feldern und windzerpflügten Hügelausläufern des Elbsandsteingebirges um Cunnersdorf eine gewisse Gelassenheit üben, und muss das Erschaute nicht in perfektionistischer Hast dechiffrieren und griffig für den raschen „Augenblick“ – kompositorisch und farblich eingängig – aufbereiten. Inmitten landschaftlicher Reize kann er ganz auf gewachsene Horizonte im Lauf der Jahreszeiten und Lichtstimmungen eingehen. So schwelgt er in glänzenden Pastositäten und spachtelt gleichsam im Wachstumsrausch des Frühlings die Farbe der leuchtender Rapsfelder auf die Leinwand und überfängt sie mit wolkengebauschtem Himmel. Anders seine Vorfrühlings- und Winterbilder – hier hält Fiedler den Farbrausch zurück und vermittelt mit bewusst gewähltem dünnen Farbauftrag und gleitenden Abstufungen winterlichen Kältegrauschleiers eine gewisse Rauheit und abweisende Kühle, die in den von grellweißen Schneespuren überzogenen kahlen Feldern glaubhaft formuliert wird. Baumgestalten scheinen dem Betrachter tröstlich zu winken und im Hintergrund erscheint das eine oder andere rote Dach menschlicher Behausung. Jochen Fiedlers Wirken widerspiegelt die Suche nach Beständigkeit als Gegengewicht zu moderner Lebenshast und kurzlebigem modischem Beiwerk zeitlich begrenzter Existenz.